Auf den ersten Blick verbindet diese beiden Länder nur sehr wenig. Betrachtet man diese Frage aber durch die Brille der internationalen Recyclingwirtschaft, so hat der Begriff „Schweiz-Ghana“ branchenintern einen hohen Aktualitätsgrad. Der Schweiz-Ghana-Vorschlag zur Klassifizierung von E-Schrott im Rahmen der Basler Konventionen stand unter anderem auch beim IERC auf der Agenda. Viele Kongressteilnehmer waren sich einig, dass diese neuen Regulierungen eine potenzielle Gefahr beinhalten. Die Formulierung des Vorschlags könnte nämlich dazu führen, dass künftig viel mehr E-Schrott als gefährlich eingestuft wird und dadurch massive Mehraufwände bei der Verbringung und Verarbeitung entstehen. Für Aufsehen sorgte vor allem ein Vortrag von MGG-Experte Chris Slijkhuis, der sich kritisch mit diesem Vorschlag auseinandersetzte.
Bevor man in die Materie „Elektronikschrott und seine Verbringung“ tiefer eintaucht, lohnt sich ein Blick auf aktuelle Fakten und Zahlen laut dem „Global Transboundary E-Waste Flows Monitor 2022“. Pro Jahr fallen demnach weltweit rund 53,6 Millionen Tonnen Elektro(nik)schrott (Waste of Electrical and Electronic Equipment – kurz: WEEE) an. Davon können 9,3 Millionen Tonnen als „den Umweltstandards entsprechend richtig verarbeitet“ dokumentiert werden, das sind allerdings nur 17 (!) Prozent des angefallenen E-Schrotts. Der Rest, rund 83% des WEEE, verschwindet in unbekannten, dunklen Kanälen. Vom richtig verarbeiteten Material werden derzeit 5,1 Millionen Tonnen grenzüberschreitend verbracht und 1,8 Millionen Tonnen brauchen für diese internationale Verbringung eine Notifizierung, was ein sehr komplexes Genehmigungsverfahren mit sich zieht. Im Vergleich zu anderen Kontinenten ist Westeuropa bei der E-Schrott-Verbringung ein Musterschüler, da rund 42,5 % des hier angefallenen E-Schrotts richtig dokumentiert wird. Zum Vergleich: In Nord- und Südamerika sind es nur 9,4 %, in Asien werden 11,7 % registriert und in Afrika weiß man nur von 0,9 % des angefallenen E-Schrotts, wo er landet.
Für den E-Schrott-Experten Chris Slijkhuis ergibt diese Aufstellung eine eindeutige Conclusio, wie er im Zuge einer Rede am IERC in Salzburg im Jänner 2023 berichtete: „Von 44,3 Millionen Tonnen WEEE wissen wir also nicht, was damit passiert. Das bedeutet einen Riesenmarkt an potentiellem Recyclingmaterial! Und dieses Potential gilt es zu nützen, wenn man verstanden hat, wie wichtig für unsere Welt eine gute und richtige Recycling-Kreislaufwirtschaft ist.“
Gesetzliches Hin und Her bei den Vorgaben zur Verbringung von Kunststoffabfällen
Die internationalen Recycling-Stakeholder entwickeln stetig neue Vorgaben. So wurde zum Beispiel während der Sitzungen zur Basler Konvention 2017 in Bonn der norwegische Vorschlag zur Neuklassifizierung von Kunststoffabfällen mit neuen Codes (B3011, Y48 und A3210) vereinbart, um den grenzüberschreitenden Transport von verunreinigten Kunststoffabfällen besser begrenzen und kontrollieren zu können. Die Implementierung in Europa fand innerhalb weniger Tage in der Weihnachtszeit 2020 statt. Das entsprechende Gesetz wurde am 22. Dezember 2020 publiziert und trat bereits am 1. Januar 2021 in Kraft. Allerdings wird die Implementierung dieser eigenen EU-Klassifizierungs-Codes derzeit im Zuge einer Novellierung wieder in Frage gestellt: Am 17. Januar 2023 sprach sich das Europäische Parlament nämlich mehrheitlich für eine Rückkehr zu den Basel-Codes aus.
„Dieses Hin und Her ist aber für die europäische Recyclingbranche eine riesige Herausforderung. Damit die Verwertungsindustrie nachhaltig und langfristig arbeiten kann, braucht sie aber ein gewisses Minimum an gesetzlicher Durchgängigkeit und Stabilität“, erklärte Chris Slijkhuis in seinem IERC-Vortrag.
Schweiz-Ghana: Richtige theoretische Intention, aber praxisfremde Forderung
Der zentrale Punkt seines Referats in Salzburg behandelte aber den so genannten „Schweiz-Ghana-Vorschlag“, welcher bei der COP (Conference of the Parties) der Basler Konvention im Juni 2022 in Genf verabschiedet wurde. Die Länder Schweiz und Ghana hatten einen Vorschlag präsentiert, wonach alle Elektro(nik)-Altgeräte einer umweltgerechten Entsorgung zugeführt und nach modernstem Stand der Technik aufbereitet werden sollten. „Swiss-Ghana beruft sich darauf, dass es momentan noch viel grün-gelisteten E-Schrott gibt, der ohne Genehmigung der zuständigen Behörden grenzüberschreitend verbracht werden kann. In der Praxis bedeutet das, dass viel Alt-Elektronik in einen Container gesteckt wird und unter dem Motto „Das kann man noch verwenden!“ nach Afrika geschickt wird. In Wirklichkeit handelt es sich dabei aber um E-Schrott. Und das muss verhindert werden, um die Risiken für Menschen und Umwelt zu reduzieren! Ist das nicht genau das, was wir wollen?“ fragte MGG-Experte Slijkhuis das Publikum ironisch in Salzburg. Laut Schweiz-Ghana-Vorschlag soll ein neuer Y49-Eintrag die bisherigen Basel-Codes B1110 und B4030 ersetzen. Y49 beinhaltet die Vorgabe, dass alle Fraktionen, die als E-Schrott definiert werden, eine Notifizierung benötigen. Damit soll man kontrollieren können, dass der E-Schrott immer an richtige Verwerter geht, welche diesen technologisch korrekt verarbeiten. „Auf den Punkt gebracht bedeutet diese Änderung, dass in Zukunft auch nicht gefährlicher E-Schrott und Fraktionen daraus bei einer grenzüberschreitenden Verbringung notifiziert werden müssen. Die Frage ist aber, ob die Behörden diese Flut an zusätzlichen Notifizierungsanträgen bearbeiten können. Denn dafür sind in den meisten EU-Ländern zu wenig Ressourcen vorhanden“, meinte Slijkhuis.
Die gefährlichere Forderung im Swiss-Ghana-Vorschlag lautet aber, den bisherigen Eintrag A1180 der Basler Codes durch einen neuen Eintrag A1181 zu ersetzen. Nach den Vorstellungen der Schweiz und Ghana, die auf der Basel Conference of the Parties im Juni 2022 angenommen wurden und bis zum 1. Januar 2025 implementiert werden sollen, müssten letztlich alle Elektronikaltgeräte und die Fraktionen daraus, die möglicherweise Asbest, Blei, Cadmium, Quecksilber oder bromierte Flammschutzmittel enthalten, als gefährlich betrachtet werden. A1181 qualifiziert eine Fraktion auch als gefährlich, wenn sie beispielsweise Kunststoffteile (in welchen möglicherweise bromierte Flammhemmer sind) oder Leiterplatten beinhalten. „Meine Interpretation dieses Vorschlags sieht so aus: Wenn ich eine Behörde wäre, und einen LKW mit E-Schrott sehe, den ich klassifizieren muss, dann würde ich auf Nummer sicher gehen.
Wenn nicht bewiesen werden kann, dass diese Bestandteile nicht enthalten sind, dann würde ich eher davon ausgehen, dass etwas drinnen ist. Und damit ist diese Fraktion gefährlich. Da in diesem Vorschlag auch keine Mengengrenzen angegeben sind, wird es für Behörden sehr einfach, alles als gefährlich einzustufen.“ Unverständlich und widersprüchlich ist für Slijkhuis vor allem auch, dass bromierte Flammhemmer in Gebrauchsprodukten in der Regel kein Problem darstellen, jedoch im Abfallstatus als gefährlich eingestuft werden: „Warum sollen Drucker, welche die Menschen tagtäglich in Verwendung haben, auf einmal durch ihre Entsorgung zum gefährlichen Gut werden?“
Und warum haben die Schweiz und Ghana diesen Vorschlag ausgearbeitet? Offenbar bezwecken die beiden Länder mit ihrem Änderungsvorschlag, den zweifelhaften Export kompletter Elektroaltgeräte mit geringem Wert in Schwellenländer zu stoppen. Kaum ein Experte geht davon aus, dass die beiden Länder den Handel von Rohstofffraktionen, welche in technologisch-modernen Recyclinganlagen gewonnen werden, verhindern wollen. Grundsätzlich ein löblicher Ansatz, jedoch mit möglicherweise weitgreifenden Auswirkungen auf den WEEE-Warenverkehr weltweit.
Quo vadis Schweiz-Ghana?
Der Schweiz-Ghana-Vorschlag wurde im Juni 2022 im Gremium der Basler Konvention angenommen und wird ab 1. Jänner 2025 umgesetzt. Das ist Fakt. Bis dahin wird aber erwartet, dass dieser Vorschlag vor allem auf den regulativen Ebenen der OECD und der EU weiter heftig und wahrscheinlich auch kontroversiell diskutiert wird. Vor allem Japan mit seinen großen Verwertungsanlagen für Leiterplatten-Recyclingmaterial wird sich auf OECD-Ebene gegen diesen Vorschlag stellen. Und auch auf EU-Ebene wird es noch viele Diskussionen geben, wie Chris Slijkhuis prognostiziert: „Auf Basler Ebene ist es entschieden. Um die ordentliche Verwertung von Elektro-Altgeräten in der EU sicherzustellen, gehe ich davon aus, dass bis 2025 zumindest entsprechende Modalitäten in der EU entwickelt werden. Vielleicht gibt es dann einen eigenen EU-Code EU49 mit Orientierungshilfen oder Leitlinien für EU-internen Warenverkehr ohne die Notwendigkeit, Alles als gefährliche Abfälle einzustufen. Denn schließlich garantieren Notifizierungen, dass eine ordentliche Verarbeitung stattfindet. Und das war doch das deklarierte Ziel der Schweiz-Ghana-Vorschläge!“
- In unserer kommenden Sommerausgabe des MGG Newsletters gehen wir weiter auf dieses komplexe Thema und die Thematik der E-Schrott-Klassifizierung ein.