Herbert Müller-Guttenbrunn startete seine Karriere 1967 im väterlichen Betrieb. Er übersiedelte den Betrieb nach Amstetten, stieg zum Geschäftsführer auf und übergab 2006 eine internationale Firmengruppe. Er wirkte zudem über viele Jahre in der Wirtschaftskammer im Bereich Sekundärrohstoffhandel. Für sein Engagement wurde er mit dem Titel Kommerzialrat sowie dem Goldenen Ehrenzeichen des Landes Niederösterreich ausgezeichnet. Ganz im Ruhestand ist der ehemalige MGG-Geschäftsführer allerdings immer noch nicht, wie er in einem ausführlichen Interview verrät.
Herr Müller-Guttenbrunn, aktuell hält das Corona-Virus die Welt in Atem. Wie geht es Ihnen persönlich damit?
Herbert Müller-Guttenbrunn: In unserer Familie sind zum Glück alle gesund – das ist das Wichtigste. Persönlich nutze ich die Zeit jetzt zum Wandern oder zum Verweilen im Garten – sogar für Dinge, die ich schon zehn Jahre nicht mehr gemacht habe. Derzeit ist jedenfalls alles ein wenig anders als sonst.
Ein wenig anders waren die Zeiten auch, als Sie 1967 in die Firma Ihres Vaters gekommen sind. Wie verlief Ihr Start?
Müller-Guttenbrunn: Ja, das waren definitiv andere Zeiten. Ich war damals gerade 22 Jahre alt und hatte ein zweijähriges Praktikum in Kempten absolviert. Wir waren lediglich zu dritt im Unternehmen. Da musste jeder natürlich alles tun – so bin ich mit dem Lastwagen gefahren, habe den Seilbagger bedient oder habe mit der Blechpresse gearbeitet.
Damals war das Unternehmen ja noch in Waidhofen beheimatet. Wie haben Sie die Gründungsphase des väterlichen Betriebs erlebt?
Müller-Guttenbrunn: Ich weiß nur, dass ich meinen Vater wenig gesehen habe. Am Tag war er mit der Schrottverwertung beschäftigt, in der Nacht hat er in der eigenen Bar im Schloss Waidhofen Geschäfte gemacht.
Die Bar – oder besser gesagt ein Teilerbe rund um das Schloss in Waidhofen – war ja überhaupt der Grund, weshalb die Familie ins Mostviertel gekommen ist…
Müller-Guttenbrunn: Genau so ist es. Ich bin ja in Klagenfurt geboren und fünf Jahre lang aufgewachsen. Mein Vater hatte dort eine Schleifmittelfirma, die leider abgebrannt ist. Er war dann Vertreter und hat auch kurze Zeit bei einem Schrotthändler gearbeitet – deshalb ist er dann auch irgendwie beim Eisenschrott gelandet. Durch das Erbe entschied man nach Waidhofen zu ziehen und mein Vater hat hier die Bar aufgebaut. Dort ist er dann mit den russischen Besatzern und mit den Böhler-Angestellten ins Gespräch gekommen. Zu dieser Zeit gab es viel Eisen aufzuarbeiten: Der damalige Park hinter dem Schloss war ein einziges Alteisenlager mit alten Panzerteilen und entschärfter Munition. Irgendwann hat er dann damit als Nebenverdienst begonnen und das Geschäft ist immer weiter gewachsen – auch als keine alten Kriegsrelikte mehr aufzuarbeiten waren.
Welche Gründe gab es dafür?
Müller-Guttenbrunn: Einer war bestimmt die stets gute Zusammenarbeit mit den Böhler-Ybbstal-Werken. Von meinem Aufenthalt in Deutschland habe ich das damals neuartige Container-System gekannt, das wir dann auch eingeführt haben. So haben wir 1968 bei der Böhler die ersten Container aufgestellt, die wir auch als einzige Firma in Österreich auf die Bahn verladen konnten. Das war auf alle Fälle ein wichtiger Baustein für den Erfolg, ebenso sind wir mit den Firmen Welser und Forstner mitgewachsen.
Durch das Wachstum ist schließlich der Platz in Waidhofen zu eng geworden, sodass man sich 1976 entschieden hat, nach Amstetten zu gehen. Da waren Sie ja bereits federführend beteiligt…
Müller-Guttenbrunn: Gemeinsam mit dem damaligen Amstettner Bürgermeister Johann Pölz habe ich das heutige Firmenareal gefunden. Pölz half uns dann bei der Vermittlung über die Bundesbahn. Natürlich war das noch kein Vergleich zu heute. Es hat wirklich arg ausgesehen. Alles war übersät mit Bombentrichtern, wo teilweise auch noch Waggons und jede Menge Blindgänger drinsteckten. Der Baggerfahrer hat damals wirklich Mut gebraucht, hier alles einzuebnen. Als das geschafft war, haben wir das Einzelunternehmen in eine GmbH umgewandelt, an der mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und ich jeweils zu 25 Prozent beteiligt waren.
Wie lief es am neuen Standort?
Müller-Guttenbrunn: Ganz gut und wir haben einiges investiert. So haben wir relativ bald die erste Großschere aus Dänemark gekauft. Da war ich zu Beginn sogar noch Scherenführer – und auch mit dem Lastwagen war ich ab und zu unterwegs. Wir waren zwar bereits rund zehn Mitarbeiter im Unternehmen, aber in der Urlaubszeit oder bei Krankenständen bin ich gerne eingesprungen. 1980 haben wir unseren ersten Kleinschredder in Betrieb genommen, die sogenannte Mühle – und 1984 haben wir in Kematen mit Metran unser erstes Tochterunternehmen gegründet.
Zu diesem Zeitpunkt war ja auch bereits Ihr Bruder Dietrich im Unternehmen tätig. Wie harmonisch war Ihre Zusammenarbeit?
Müller-Guttenbrunn: Das hat immer gut geklappt. Mein Bruder ist 1978 ins Unternehmen gekommen, nachdem das Restaurant in Waidhofen verkauft wurde. Er hat mir viele Aufgaben abgenommen – so hat er sich etwa um den Einkauf von Lkws gekümmert und viele unserer Lieferanten betreut. Mir blieb somit Zeit, mich anderen Aktivitäten zu widmen – etwa Firmen im Ausland zu gründen. Wir haben uns die Aufgaben jedenfalls immer gut aufgeteilt und er hat mir stets den Rücken freigehalten.
1985 sind Sie dann gewerberechtlicher Geschäftsführer geworden – aber viele Agenden haben Sie ja bereits vorher von Ihrem Vater übernommen…
Müller-Guttenbrunn: Mein Vater war Flieger im Krieg. Die Freude am Fliegen ist ihm geblieben. Leider musste er dann mit einem Motorsegler in Zell am See eine Notlandung hinlegen, bei der er sich schwer verletzt hat. Er hatte ein Auge verloren, konnte kaum noch sehen, war auch kaum noch mobil – aber er war dennoch der Chef und immer im Büro. Aufgrund seiner Beeinträchtigung habe ich natürlich einiges an Arbeit übernehmen müssen, aber immer alles mit ihm besprochen – zum Glück hat er immer ja zu meinen Vorschlägen gesagt. So haben wir 1985 vor seinem Tod noch den Großschredder errichtet – dessen Planung war die letzte große Investition, die er noch miterlebt hat. Die Errichtung unseres Bürokomplexes im darauffolgenden Jahr leider nicht mehr.
Nach seinem Ableben hatten Sie dann offiziell die Agenden des Geschäftsführers übernommen – wie würden Sie sich als Chef rückblickend beschreiben?
Müller-Guttenbrunn: Ich würde sagen, ich war antiautoritär bei den Besprechungen, autoritär bei den Entscheidungen. Einer muss schließlich sagen, wo es lang geht – und das sollte der Chef sein.
Sie haben vorhin bereits die Gründungen neuer Tochterunternehmen im Ausland angesprochen. Viele davon sind in ehemaligen Ostblock-Staaten beheimatet. Wie abenteuerlich waren diese Firmengründungen kurz nach der Wende?
Müller-Guttenbrunn: Das kann man mit heute gar nicht vergleichen. Ich habe oft mit Leuten die Firmen gegründet, mit denen ich vorher schon beim Rohstoffeinkauf zu tun hatte. Da ging vieles nur über Staatsbetriebe, bei denen man genau wissen musste, wem man etwas sagt und wie man es sagt. Leider habe ich hier auch Lehrgeld bezahlt: Die Menschen, denen ich damals am meisten vertraut habe, haben mich oft herb enttäuscht. So hat es mit vielen Geschäftsführern, mit denen ich mich gut verstanden habe, wirtschaftlich nicht gepasst. Dennoch war jede einzelne dieser Firmengründungen oder -beteiligungen ein Riesenerlebnis.
Was hat Sie denn an der internationalen Expansion so gereizt?
Müller-Guttenbrunn: Es war einfach spannend, andere Leute, andere Lebens- und Denkweisen kennenzulernen. Auf alle Fälle ist man im Ausland als Recycler wesentlich mehr geschätzt worden. In Österreich waren wir als schmutzige Alteisenhändler verschrien. Da stieg die Wertschätzung erst in den letzten 20 Jahren.
Gibt es ein spezielles Erlebnis, das Ihnen sofort einfällt, wenn Sie an die internationalen Firmen in der Müller-Guttenbrunn Gruppe denken?
Müller-Guttenbrunn: Es gäbe bei jeder Firmengründe ganz spezielle Erlebnisse, mit denen man Bücher schreiben könnte. Die Entsorgung von Altautos war immer schon ein wichtiges Thema in unserem Unternehmen. So auch bei unserer Expansion nach Ungarn. Damals gab es eine Prämie für die Verschrottung der alten Trabants. Ich war gerade einmal in Budapest vor Ort, als ein Ehepaar auf dem Firmenareal vorgefahren ist und sich dort von ihrem alten Auto wie bei einem Begräbnis verabschiedet hat. Die Frau hat sogar geweint. Da hat man gesehen, welcher Wert das Auto für die Leute hatte.
Was hatte für Sie den größten Wert im Unternehmen?
Müller-Guttenbrunn: Der größte Wert einer Firma sind auf alle Fälle die Mitarbeiter. Als Chef alleine kann man nichts machen, man braucht schon gute Leute dazu, um Großes zu erreichen.
Großes hat man in der Müller-Guttenbrunn Gruppe auf alle Fälle vollbracht. Es gibt allerdings auch immer das eine oder andere, woran man scheitert. Was bedauern Sie, nicht geschafft zu haben?
Müller-Guttenbrunn: Das Projekt, das mir am meisten Energie gekostet hat – und das auch nie verwirklicht wurde – war der Versuch in Kematen eine Verbrennungsanlage samt Aluschmelzwerk zu errichten. Heute würde man das Ganze als „grünes Projekt“ betrachten, denn wir wollten etwa die Wärme zur Papiertrocknung bei der damaligen Neusiedler und zur Stromerzeugung nutzen. Obwohl wir alle Genehmigungen hatten, ist es dann nie umgesetzt worden – auch weil unser deutscher Partner in Konkurs gegangen ist und wir einen anderen Partner gebraucht hätten. Leider wurde das Projekt davor derartig schlecht gemacht, dass wir es auf Eis legen mussten. Auf einem Teil des Grundes, der für das Projekt vorgesehen war, steht heute das Werk von MGG Polymers, das mein Sohn mitgegründet hat. Viele Leute haben mir schon gesagt, ich sei mit dem gescheiterten Projekt der Initiator gewesen, dass sich dort Unternehmen wie die voestalpine oder auch MGG Polymers angesiedelt haben. Das macht mich dann schon stolz – aber dieses Projekt hat mich echt Nerven gekostet. Alles andere hat mir aber Riesenspaß gemacht.
Was hat Ihnen denn am meisten Spaß gemacht, wenn Sie an Ihre Zeit als Geschäftsführer zurückdenken?
Müller-Guttenbrunn: Wir haben über zehn Jahre lang jeden Freitag Tennis gespielt. Diese Doppelpartien haben mir, wenn ich dabei war, immer viel Spaß gemacht – vor allem, wenn wir nach dem Spiel beisammengesessen sind und über Berufliches und Privates geplaudert haben. Da war schon viel Gaudi dabei. Dazu kam, dass wir einmal im Jahr ein Tennisturnier veranstaltet haben, bei dem auch Angestellte unserer ausländischen Firmen gekommen sind. Danach kamen Events wie Golfen oder Go-Kart-Fahren dazu – aber da habe ich nicht mehr mitgemacht. Nach dem ersten Mal am Go-Kart hat mir alles weh getan – da nimmt absolut keiner Rücksicht! Motorisiert waren wir allerdings auch früher schon unterwegs. Die Motorradtouren mit den Firmenangehörigen sind mir noch bestens in Erinnerung. Allerdings sind wir auch viel mit dem Rad gefahren – das hat mir auch große Freude bereitet. Da darf ich sagen: Ich fahre immer noch – bis zu 2.000 Kilometer im Jahr.
Vom Fahrrad zurück zum Business: Mittlerweile führt Ihr Sohn Christian die Müller-Guttenbrunn Gruppe. Wie sehen Sie die aktuelle Lage?
Müller-Guttenbrunn: Christian macht das großartig, mit all den anderen Führungskräften im Unternehmen. Er ist ja schon während seines Studiums immer als Ferialpraktikant im Unternehmen gewesen. Nach seiner Zeit im Ausland bei Thyssen ist er schließlich als Controller in die Firma gewechselt und in seine Aufgabe hineingewachsen. Bei den aktuellen Recycling-Themen müssen wir dranbleiben – ich denke da nur an das Recycling bei den E-Autos, wo es noch eine Lösung geben muss. Wenn ich unsere Zahlen der letzten Jahre betrachte, dann funktioniert vieles – auch weil wir echt grandiose Mitarbeiter haben. Deshalb müssen wir auch für die Zukunft schauen, auf den entscheidenden Stellen die richtigen Leute zu haben. Aktuell lässt sich durch die Corona-Krise kaum etwas mit Sicherheit vorhersagen. Noch läuft bei uns vieles wie immer, aber zahlreiche Betriebe setzen auf Kurzarbeit, weshalb die Produktionsabfälle weniger werden. Ich bin dennoch überzeugt, dass im Unternehmen die richtigen Entscheidungen getroffen werden und die Müller-Guttenbrunn Gruppe diese Krise gut meistern wird. Das Wichtigste ist aber zunächst einmal, dass alle gesund bleiben.
Da haben Sie natürlich absolut Recht. Man merkt, Sie sind noch nicht ganz im Ruhestand und top-informiert über die Vorgänge im Unternehmen. Sie sitzen ja noch im Firmenbeirat und führen die Geschäfte in der Teilgesellschaft für Grundstücksverwaltung und Beteiligungen. Wie oft sind Sie also noch im Unternehmen anzutreffen?
Müller-Guttenbrunn: Ich halte mich dank Smartphone ständig am Laufenden. Unser Controlling-System funktioniert bestens, sodass ich stets die aktuellen Zahlen vorliegen habe. Wenn ich in Amstetten bin, komme ich gerne auf einen Kaffee zu meinem Sohn oder den anderen Mitarbeitern. Da kann es sein, das ich zwei, drei Monate nicht herkomme, weil ich in der Welt unterwegs bin. Dann gibt es wieder Zeiten, da bin ich gleich zwei-, dreimal in der Woche da. Dazu kommen die diversen Sitzungen der Firmengremien – also ich bin schon noch öfters in Amstetten. Allerdings genieße ich auch gerne meine Zeit mit meiner Frau in unserem Ferienhaus am Plattensee in Ungarn oder auf Kreuzfahrten. Derzeit ist das aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich – so habe ich leider einige geplante Touren stornieren müssen. Ich hoffe für uns alle, dass die Menschheit diese Krise rasch in den Griff bekommt und Reisen bald wieder möglich sind.
Diesem Wunsch schließen wir uns gerne an, sagen Dankeschön für das ausführliche Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Freude am Leben und natürlich auch an den Tätigkeiten rund um die Müller-Guttenbrunn Gruppe!