Von 18. bis 21. Jänner 2022 fand in Salzburg der diesjährige IERC-Kongress (International Electronics Recycling Congress) statt. Nach einjähriger, pandemiebedingter Pause traf die Elektronik-Recycling-Branche endlich wieder zusammen, was alle Teilnehmer als einen guten und nötigen Schritt im Sinne der gemeinsamen Sache empfanden.
Dank entsprechendem Coronakonzept war es eine pandemisch sichere Hybrid-Veranstaltung auf höchstem Niveau. Rund 200 Brancheninsider – weit weniger als in den Vorjahren – waren der Einladung physisch gefolgt, zahlreiche Delegierte waren durch die Möglichkeit einer Online-Teilnahme virtuell mit an Bord. Rund 40 Anbieter von Recyclinglösungen waren als Aussteller vertreten.
Eines der zentralen Themen war auch heuer wieder der „Dauerbrenner“ der bromhaltigen Flammschutzmittel (BFR): „Seit vielen Jahren beschäftigt die Kunststoff-Branche – und im Speziellen die WEEE-Recycling-Unternehmen diese Thematik“, berichtet EERA-Vorstandsmitglied (European Electronics Recyclers Association) und ehemaliger MGG Polymers-Geschäftsführer Chris Slijkhuis. „Leider diskutieren wir immer wieder über das Recycling von Kunststoffen mit bromhaltigen Flammschutzmitteln. Ärgerlich ist vor allem, dass wir schon wieder über die entsprechenden Grenzwerte sprechen müssen. Nach wie vor scheint es hier nämlich keine langfristige, durchgängige und vor allem einheitliche Linie seitens der verantwortlichen europäischen Behörden zu geben.“
Fixierte Grenzwerte werden erneut zur Diskussion gestellt
Was die internationalen Recycling-Unternehmen dabei am meisten erzürnt, ist die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren die Grenzwerte für die Anteile langlebiger organischer Schadstoffe (englisch: Persistent Organic Pollutants, kurz POPs) in Kunststoffen bereits mehrfach festgelegt wurden. Leider gibt es drei unterschiedliche Europäische Gesetze, die alle drei Schwellenwerte festlegen, nämlich die RoHS-Richtlinie, die REACH-Verordnung und die POP-Verordnung. Mitte 2019 wurden die Werte durch eine neue POP-Verordnung nach unten korrigiert. „Das war für uns Recycler noch in Ordnung, denn wenn die Werte stabil bleiben, können wir uns darauf einstellen und so die entsprechenden Schritte für eine Weiterentwicklung von nachhaltigen Kreislaufwirtschaften beim Kunststoff-Recycling gehen. Dass die EU Anfang 2022 erneut über eine weitere Senkung der Grenzwerte diskutiert und diese bis Sommer festlegen möchte, bringt enorme Unsicherheit für die Kunststoff-Recycler. Wenn die gesetzlichen Vorgaben nämlich nicht langfristig konstant bleiben, können wir uns nicht darauf einstellen und Investitionen der Recyclingunternehmen für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft machen wenig Sinn. Auch die Innovationen werden zum Stillstand kommen. Auf was können wir uns verlassen?“ fragt Slijkhuis.
Kreislaufwirtschaft funktioniert nicht, wenn Grenzwerte laufend geändert werden.
Im Rahmen eines vom BSEF (Internationaler Verband der Brom Hersteller) organisierten Workshops beim IERC Congress, an dem Chris Slijkhuis teilnahm, forderten die teilnehmenden Kunststoff-Recycler, dass man hier endlich konsequent vorgeht. Mit der Konzept-Idee „One Substance – One Assessment“ formulierten die Verbände der gesamten Elektronikrecyclingbranche ein gemeinsames Positionspapier, das der Europäischen Kommission vorgelegt werden soll. Dieses Paper enthält detaillierte und praktische Empfehlungen, um eine ehrgeizige, praktikable und vor allem langfristig-nachhaltige Umsetzung des Green Deal für den gesamten Elektronikrecycling-Sektor europaweit zu gewährleisten. Stellvertretend für die EERA und den österreichischen Vorreiter beim Kunststoff-Recycling MGG Polymers fasste Chris Slijkhuis zusammen: „Wir brauchen endlich eine europäische Lösung, auf die wir uns verlassen können. Sicherheit und Stabilität sind das Gebot der Stunde! Denn in Sachen Kunststoff-Kreislaufwirtschaft ist es – bildlich gesprochen – bereits fünf vor zwölf!“
Die Vorgeschichte, oder: die Neverending-Story der BFRs
Historisch betrachtet, ist die europäische Kunststoffrecyclingindustrie noch ein „junges Küken“. Denn erst vor rund 15 Jahren hat man mit der Sammlung und Verwertung von Elektroaltgeräten begonnen. Umso wichtiger ist für eine derart junge Branche Stabilität. Es wird keine großen Investitionen und Innovationen geben, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen so volatil sind. Und dass es Innovationen braucht, um einen derart jungen Industriezweig zu etablieren, ist allen globalen Playern klar.
Im Zentrum der internationalen Diskussion steht seit Jahren vor allem die Verwendung einiger bromhaltiger Flammschutzmittel in Kunststoffen, die seit mehr als einem Jahrzehnt verbotenen sind. Elektronische und elektrische Geräte benötigen bei ihrer Produktion Kunststoff. Wobei man zwischen jenen Geräten unterscheiden muss, die Hitze entwickeln (z.B. Fernseher), und jenen, die keine Hitzeentwicklung haben (z.B. Kühlschränke). Nur bei den Geräten, die Hitze entwickeln können (E-Klein-, Bildschirm- und ICT-Geräte), werden Kunststoffe eingesetzt, die unterschiedliche Flammschutzmittel, darunter BFRs, enthalten. Durch diese Flammschutzmittel wird ein Entzünden der Kunststoffe vermieden.
Einige Arten dieser BFRs werden von den europäischen Behörden als POPs eingestuft und sind seit mehr als einem Jahrzehnt verboten. Diese werden in speziellen Recycling-Unternehmen wie bei MGG Polymers aussortiert und einer sachgemäßen Beseitigung (Verbrennung) zugeführt. Europaweit fallen jährlich rund 2,6 Millionen Tonnen Elektro- und Elektronikaltgeräte-Kunststoffe an. Nur 9 % dieser Kunststoffe sind mit bromhaltigen Flammschutzmitteln versehen. Aber nur die Hälfte davon erfährt eine Entsorgung über die offiziellen Sammel- und Verwertungswege, der Rest verschwindet in nicht dokumentierten Abfallströmen, in welchen eine sachgemäße Verarbeitung nicht gewährleistet ist.
Bescheinigte eine Studie des BSEF 2020 den Recycling-Unternehmen noch, dass die Recycling-Ergebnisse durch bromierte Flammschutzmittel nicht beeinträchtigt werden, würde eine weitere Senkung der Grenzwerte die erzielten Fortschritte gefährden. Aber nicht nur das: Für Recycling-Unternehmen könnte diese Senkung unabsehbare wirtschaftliche Folgen haben, vor allem was Investitionen in entsprechende Entsorgungsanlagen betrifft.
Fakt ist, dass es durch die laufende Diskussion über Grenzwerte keine rechtliche Stabilität für diese – sich ständig weiterentwickelnde – Industrie gibt. Daher steigen die Kapazitäten für das Recycling von Kunststoffen aus Elektro- und Elektronikaltgeräten nicht so rasch, wie es eigentlich möglich wäre.
Was kann man also tun? Die Erfahrung zeigt, dass ein Mix aus Medienkampagnen zur Bewusstseinsbildung der Bevölkerung und Anreize zur sachgemäßen Entsorgung die beste Lösung für diese Herausforderung darstellt. Konsumenten sind heute umweltbewusster und deshalb bereit, auch Produkte mit recyceltem Plastik zu kaufen.
Darum sollte die Recycling-Industrie durch klare, einfachere und vor allem stabile, rechtliche Rahmenbedingungen unterstützt werden, um so weitere Innovationen und Investitionen tätigen zu können.